News 13. Juli 2023

DER KAMPF UM DEMOKRATISCHE RÄUME

Demokratien weltweit – und die liberale internationale Ordnung – stehen vor vielfältigen Herausforderungen, die die Grundlagen ihrer Werte und Institutionen in Frage stellen. So ist der neue geopolitische, multipolare Wettbewerb unserer Zeit ist ein Kampf um die Rolle, die Bedeutung und letztlich die Zukunft der Demokratie. Diese Entwicklungen standen im Zentrum intensiver, manchmal düsterer, aber immer aufschlussreicher Diskussionen des eintägigen M100 Media Forum unter dem Titel „Between Ambition and Disarray – The Future of Democracy“, das wir in Partnerschaft mit dem M100 Sanssouci Colloquium am 22. Juni in der georgischen Hauptstadt Tbilissi veranstaltet haben.

Dabei spiegelt der Veranstaltungsort symbolhaft das Ringen um die liberale Demokratie wider. Als ehemaliger „Ort der Hoffnung“, wie die ZEIT einst titelte, hat Georgien in den letzten Jahren einige Rückschläge beim Übergang zur Demokratie hinnehmen müssen und sieht sich mit massiven Spannungen konfrontiert: So sieht sich Georgien nicht nur seit der russischen Invasion 2008 der sicherheitspolitischen Bedrohung Russlands ausgesetzt. Unter dem Kurs der aktuellen Regierung der Partei „Georgische Traum“ haben sich die Räume für den demokratischen Diskurs verengt. Gleichzeitigt zeugen die jüngsten Proteste im März 2023 wie auch schon 2021 von der Stärke und Resilienz der georgischen Zivilgesellschaft und schüren die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel. Wie also kann man diese Kraft in Richtung einer positiven, zukunftsorientierten Veränderung lenken?

Diese Frage lotete das M100 Media Forum in drei Strategic Roundtables zu den Themen Demokratie, Desinformation, Geopolitik, der Rolle der Zivilgesellschaft und der unabhängigen Medien sowie der Berichterstattung ausländischer Medien über Georgien aus.

DIE ROLLE VON ZIVILGESELLSCHAFT UND UNABHÄNGIGEN MEDIEN

Nachdem der deutsche Botschafter in Georgien, Ernst Peter Fischer, mit einem Impuls zu den deutsch-georgischen Beziehungen die eintägige Konferenz eröffnete, diskutierten 30 internationale und lokale Vertreter:innen aus Medien und Zivilgesellschaft in unserem Roundtable „Strengthening Democracy: The Role of Civil Society and Independent Media“, der von Antonia Marx moderiert wurde, wie die demokratischen Ströme gestärkt und unterstützt werden können. Einen ersten Input lieferte Ana Kakalashvili, Beraterin und Gutachterin beim OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Tbilissi. Kern ihres Impulses beschäftigte sich mit den Fragen: Wie können öffentliche Räume für gesellschaftlichen Diskurs und Wandel in einer bedrohten Medienlandschaft gestärkt werden? Wie kann für die Belange Georgiens europaweit Öffentlichkeit erzeugt werden, welche Rolle spielt dabei Auslandsberichterstattung? Dies spiegelt auch das eigentliche Ziel der Reise nach Tbilissi wider, die gemeinsam vom M100 Sanssouci Colloquium und der Alfred Herrhausen Gesellschaft organisiert worden war: Nämlich, die Perspektive zu wechseln: Nicht im Westen über den Osten, sondern in einem osteuropäischen Land über Osteuropa und den Blick des Westens auf Osteuropa und in diesem Fall auf Georgien zu diskutieren.

Unter der Moderation von Dr. Leonard Novy kamen in den weiteren beiden Strategic Roundtables Impulse von Vazha Tavberidze, Journalist und politischer Analyst bei Radio Free Europe, Anja Wehler-Schöck, Leiterin der Abteilung Internationale Politik beim Tagesspiegel, Marta Ardashelia, Journalistin und Gründerin des unabhängigen georgischen Online-Magazins SOVA, und Brigitte Baetz, freie Journalistin, unter anderem für den Deutschlandfunk.

Bei einer abschließenden Paneldiskussion erörterten Gigi Giadze, Senior Fellow des EPRC in Tbilissi, der britische Journalist Robin Forestier-Walker, der für den arabischen Sender Al-Jazeera aus Georgien berichtet, Tamar Kintsurashvili, Geschäftsführerin der Media Development Foundation Ge sowie Götz Hamann, Head of Digital Editions der Wochenzeitung DIE ZEIT, die Zukunft der Demokratie und stellten sich den Fragen des Publikums. Zum Abschluss besuchten wir zudem die beiden georgischen NGOs Institute for Development of Freedom of Information (IDFI) und der Georgian Foundation for Strategic and International Studies GFSIS (Rondeli Foundation).

ERGEBNISSE

Schlüsselerkenntnisse aus den lebhaften Diskussionen waren:

1) Pluralistisch, aber polarisiert

Trotz der besorgniserregenden Entwicklungen hinsichtlich der Medienfreiheit gibt es immer noch eine vielfältige und unabhängige Medienlandschaft sowie aktive Zivilgesellschaft in Georgien. Allerdings hat sich die Medienfreiheit in den letzten Jahren rapide verschlechtert. Oppositionelle Fernsehsender sind noch in Betrieb, jedoch hat sich die Spaltung der Medienlandschaft in offen regierungsfreundliche und kritische Sender weiter verstärkt. Politisch ausgerichtete Eigentümer:innen nehmen Einfluss auf die redaktionelle Politik ihrer Sender, die beiden Seiten haben aufgehört, direkt miteinander zu sprechen, und verlassen sich nur noch auf befreundete Medien, was die Polarisierung weiter verstärkt. Zudem ist ein Rückgang der Offenheit der georgischen Regierung zu beobachten: Staatliche Stellen blockieren Informationsanfragen. Darüber hinaus hat die Regierungspartei bisher keinen umfassenden Plan zur Umsetzung der EC-Empfehlung zur Gewährleistung freier, professioneller und pluralistischer Medien vorgelegt. Die Bevölkerung selbst ist verärgert über die größtenteils einseitige, parteiische Berichterstattung in den Medien. Um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, ist es für unabhängige Medien besonders wichtig, akkurat, ausgeglichen, objektiv, aktuell und divers zu sein

2) Für eine unabhängige und plurale Medienlandschaft sind neue, unkonventionelle Finanzierungsquellen notwendig

Eines der drängendsten Probleme für unabhängige Medien ist die Finanzierung. Der Medienmarkt - zum Beispiel für Werbung und Abonnements - ist in Georgien begrenzt, daher sind die meisten Medien auf Spenden angewiesen. Das Problem: Die meisten Spenden kommen aus der Politik und beeinträchtigen die unabhängige Berichterstattung und treiben die Polarisierung der Medienlandschaft weiter voran. Dabei besteht das Finanzierungsproblem unabhängiger Medien nicht nur in Georgien, sondern betrifft auch andere Länder bis hin zu den USA. Weltweit können wir beobachten, dass immer mehr (lokale) Zeitungsredaktionen schließen müssen. Das bedroht letztlich die vielfältige, unabhängige Berichterstattung und damit die Demokratie, da die Zeitungen als Kontrollorgan der lokalen Politik wegfallen. Sowohl für traditionelle als auch für unabhängige Medien muss nach neuen Finanzierungsquellen gesucht werden. Es gibt bereits erfolgreiche Finanzierungsmodelle, die uns Hoffnung machen und Beispiele dafür liefern, wie es gehen kann.

3) Digitale Medien als zweischneidige Chance

Unabhängige Medien haben durch die Digitalisierung große Chancen, denn jeder kann seine Stimme als Sender und Empfänger erheben. Facebook ist für Georgier, für die zivile Gesellschaft sehr wichtig, da sie hier ihre Meinung sagen können und unterschiedliche Meinungen erlaubt sind. Leider gibt es hier auch viele Trolls und Propaganda, denen viele von ihnen anheimfallen. Auch wenn einige Medien-Outlets versuchen, diese Desinformation zu bekämpfen, sind ihre Ressourcen begrenzt und die Zahl der Fake News zu groß. Wir müssen auch beobachten, wie KI den Journalismus und die öffentliche Meinung beeinflusst. KI macht vereinfacht die Verbreitung von Desinformation deutlich, und selbst für Profis wird es immer schwerer zu unterscheiden, was real und was Fiktion ist, deshalb müssen wir uns in die Diskussion einbringen und Standards und Regulierungen setzen.

Die Ergebnisse aus dem M100 Media Forum in Tbilissi werden bei der internationalen Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium in Potsdam am 14 September aufgegriffen.

Für weitere Informationen wenden Sie sich gerne an die Projektleitung Antonia Marx.