Themen:
Denk ich an Deutschland
Berlin, 1. Dezember 2017
„Die Stunde Europas – was Deutschland jetzt anpacken muss.“
9. Denk ich an Deutschland Konferenz
Das Jahr 2017 forderte Europa mehr denn je heraus. Bereits vor den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich sprachen einige Kommentatoren von einem Schicksalsjahr. Hatte das Friedensprojekt der Europäischen Union nach 60 Jahren ausgedient? Heute wissen wir: Europa lebt, aber die Krisen haben es verändert. Neben Wut und Enttäuschung auf die Bürokraten in Brüssel machte sich seit langer Zeit auch wieder Begeisterung breit: Menschen zogen in rund 120 Städten durch die Straßen und schwenkten blaue Fahnen, um die europäische Idee zu unterstützen.
Dies ist die Stunde Europas: Was muss Deutschland jetzt anpacken? Einen Tag lang diskutierten darüber Politiker und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kulturschaffende auf der neunten Denk ich an Deutschland-Konferenz.
Der Tag startete mit drei sehr unterschiedlichen, aber gleichermaßen leidenschaftlich pro-europäischen Beiträgen von Christian Lindner (FDP), Hanno Burmester (Das Progressive Zentrum) und Daniel Röder (Pulse of Europe). Lindner verwies in seiner Rede auf die historische Chance: „Ein zweites Mal darf Europa dieses Rendezvous mit der Geschichte nicht verpassen“, kommentierte er den Vorschlag Emmanuel Macrons einer Europäischen Verteidigungsunion, den Frankreich vormals abgelehnt hatte.
„Abriss, Umbau oder Renovierung – welches Europa bauen wir?“ Moderiert von Klaus-Dieter Frankenberger (F.A.Z.) diskutierten Tanja Börzel (Freie Universität Berlin), Ulrike Guérot (Universität Krems), Zsuzsanna Szelényi (ungarische Nationalversammlung) und Paul Ziemiak (Junge Union Deutschlands). „Es gibt zwei Schlüsselbegriffe für die Weiterentwicklung Europas, und das sind Gewaltenteilung und Parlamentarisierung, nicht Kompetenzübertragung“, plädierte Guérot. Szelényi verwies auf die großen Veränderungen innerhalb der EU seit der Erweiterung 2004 und betonte, dass in den osteuropäischen Ländern die Zustimmung zu Europa nach wie vor groß sei.
Anna Herrhausen hatte die Anziehungskraft Europas bereits morgens in ihrem Grußwort gewürdigt. Der Nachmittag knüpfte hier thematisch an. Impulse von Anne Kjaer Riechert (ReDi School of Digital Integration) und Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) öffneten unterschiedliche Sichtweisen und Ansätze zu Migration und Integration. Verantwortung und wie Europa und Deutschland sie übernehmen können und müssen, entwickelte sich zur zentralen Frage der Diskussion zwischen Naika Foroutan (Humboldt-Universität zu Berlin), Norbert Röttgen (CDU), Volker Westerbarkey (Ärzte ohne Grenzen) und Özdemir: „Wie kann den Menschen in den Lagern in Libyen geholfen werden? Ich verweigere mich jedem Diskurs, der von dieser Frage ablenkt“, sagte Westerbarkey. Foroutan erläuterte, wie Migrationsfragen als machtpolitisches Narrativ benutzt werden.
Die zweite Diskussionsrunde „Hausbau mit Folgen – die Kredite laufen aus“ eröffnete Jeroen Dijsselbloem (Euro-Gruppe), und er kommentierte die Rolle Deutschlands: „Während der Eurokrise wurde Deutschland stark kritisiert. Auf der anderen Seite spielte Solidarität eine große Rolle. Jede zukünftige Regierung in Deutschland wird eine zentrale Rolle in der europäischen Entwicklung spielen.“ Anschließend diskutierte er mit Markus Krall (goetzpartners), Carsten Schneider (SPD) und Jens Spahn (CDU) die wirtschaftlichen Perspektiven Europas. Diese Perspektiven nahmen im folgenden Gespräch auch Donata Hopfen (verimi) und Philipp Justus (Google Deutschland) auf und verglichen sie mit der Situation in den USA und China.
‚Tyll‘ und der Frieden – was kann Europa heute von der Geschichte des 30jährigen Krieges lernen? Abschließend las Daniel Kehlmann aus seinem neuen Roman. Parallelen der von ihm sehr unterhaltsam gelesenen Geschichte um eine geschickt verhandelnde Königin zu Angela Merkel wies er allerdings von sich. Die vielen Teilnehmer auf der Denk ich an Deutschland-Bühne wiederum, die an den Sondierungsgesprächen beteiligt waren, beantworteten Fragen zu den gescheiterten Verhandlungen nur knapp. Dennoch prägte die komplizierte politische Lage in Deutschland die Diskussionen des Tages. Konsens herrschte darüber, dass Deutschland möglichst schnell zu seiner Gestaltungsfähigkeit in der Innen- und Außenpolitik zurückkehren muss, um auch die europäische Zukunft mitzugestalten. In diesem Sinne schloss Paul Achleitner, Kuratoriumsvorsitzender der Alfred Herrhausen Gesellschaft und Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank, die Konferenz: „Wir brauchen ein Europa, das seine Zukunft selbst gestalten kann, statt von anderen getrieben zu werden.“
Mediathek
Christian Lindner, MdB, Bundesvorsitzender der Freien Demokraten (FDP) und Vorsitzender der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag
Anne Kjær Riechert, Mitgründerin und Geschäftsführerin, ReDi School of Digital Integration
Cem Özdemir, MdB, Bundesvorsitzender der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Panel: Abriss, Umbau oder Renovierung – welches Europa bauen wir?
Jeroen Dijsselbloem, Präsident der Euro-Gruppe
Daniel Kehlmann, Schriftsteller
Paul Achleitner, Kuratoriumsvorsitzender, Alfred Herrhausen Gesellschaft, und Aufsichtsratsvorsitzender, Deutsche Bank AG